GeoGebra im Regenbogen
 

 Wurzelziehen

Nein, hier geht es nicht um das Ernten von unter der Erde wachsendem Gemüse! Auch nicht um einen schmerzhaften Besuch beim Zahnarzt.
Diese Seite dreht sich um das Berechnen von Quadratwurzeln. (Wie man sieht ist die Wurzel auch ein Teekesselchen!)

Der Aha-Effekt soll dabei sein, dass man zwar einfach die Wurzeltaste auf dem Taschenrechner drücken kann, dass es aber auch Verfahren gibt, wie man eine Quadratwurzel "zu Fuß" ausrechnen kann. Dabei macht man sich jeweils andere bewiesene mathematische Tatsachen zu nutzen und entwickelt daraus eine Vorgehensweise, wie man das gewünschte Wurzelergebnis bekommt.
Auch der Taschenrechner braucht ein solches Verfahren, eine solche Vorgehensweise; im Zusammenhang mit Computern spricht man dabei von einem Algorithmus.

Als erstes wollen wir einen wichtigen Begriff klären, damit immer klar ist, wovon gerade die Rede ist:
Die Quadratwurzel einer Zahl x ist diejenige Zahl y, die mit sich selbst malgenommen (= quadriert) die Zahl x ergibt:
y * y = x
Die Zahl x, aus der wir die Wurzel ziehen, heißt Radikand. Das kann man sich sich z.B. so merken: Die Rettichwurzel heißt auf Bayrisch Radi.
Beides kommt aus dem Lateinischen: Radix = Wurzel

Grafisches Wurzelziehen

Die erste Möglichkeit zur Wurzelberechnung, die ich hier vorstellen möchte, ist eine grafische Methode; sie nutzt den Kathetensatz und den Satz des Thales.
So funktioniert sie:

In einem Koordinatensystem trägt man die Zahl, deren Quadratwurzel man berechnen will (den Radikanden), auf der x-Achse ab.
Dann schlägt man einen Halbkreis - einen Thaleskreis - vom Ursprung bis zum Radikanden. Der Mittelpunkt dieses Kreises liegt also bei der Hälfte des Radikanden auf der x-Achse.
Als nächstes zeichnet man bei x=1 eine Parallele zur y-Achse, also eine senkrechte Linie, die die x-Achse bei 1 schneidet.
Wir markieren den Schnittpunkt dieser Senkrechten mit dem zuvor gezeichneten Halbreis.
Der Abstand dieses Schnittpunktes vom Koordinatenursprung ist - unter Beachtung des Maßstabs - der gesuchte Wurzelwert!

Hier erst mal ein Geogebra-Applet zum Spielen und Ausprobieren. Danach die Erklärung, warum das so ist:

Michael Janßen, 14. Juli 2020, erstellt mit GeoGebra

Warum ist das so?

Nach dem Satz des Thales ist jedes Dreieck rechtwinklig, bei dem der Durchmesser des Umkreises mit einer Dreiecksseite zusammenfällt. Mit weniger Worten prägnanter formuliert: Alle Winkel am Halbkreisbogen sind rechte Winkel.
Das bedeutet, dass wir in den Halbkreis (rot) ein rechtwinkliges Dreieck (hellgrün) zeichnen können. Die Ecken sind der Ursprung, der Radikand auf der x-Achse und der Schnittpunkt der Senkrechten mit dem Halbreis. Der rechte Winkel dieses Dreiecks liegt beim letztgenannten Schnittpunkt.

In diesem rechtwinkligen Dreieck können wir den Kathetensatz anwenden. Der besagt, dass die Fläche der Kathetenquadrate gleich ist der Fläche des Rechtecks (blau), dass der jeweilige Hypothenusenabschnitt unter der Kathete mit einer Seite des Hypothenusequadrats aufspannt.
Noch mal langsam zum Angucken im Bild:
Das Rechteck unter der Kathete, also dasjenige, welches oben blau eingezeichnet ist und das die Eckpunkte (0|0), (0|-Radikand), (1|-Radikand) und (1|0) hat, hat die selbe Fläche wie das Quadrat über der Kathete, das dunkelgrün gezeichnet ist. Die eine Seite des Kathetenrechtecks ist 1 (so hatten wir unsere Senkrechte gewählt), die andere ist gleich der Hypothenuse, deren Länge dem Radikanden entspricht. Die Fläche des Kathetenrechtecks hat also auch den Wert des Radikanden.
Der Flächenwert des dunkelgrünen Kathtetenquadrats ist also auch gleich dem Radikanden. Seine Seitenlänge muss als - weil es sich um ein Quadrat handelt! - gleich der Wurzel des Radikanden sein.
Voilà!

Zugegeben dieses Verfahren ist, wenn man es in der Praxis anwenden will, durch die Zeichnerei etwas ungenau. Außerdem muss man zuerst ein wenig rechnen, wenn man Wurzeln von Radikanden kleiner als 1 ausrechnen will: Dazu multipliziert man den Radikanden mit einer geraden Zehnerpotenz (100 oder 10.000 usw.), so dass er größer als 1 wird.
Dann kann man obiges Verfahren anwenden.
Am Ende teilt man das Ergebnis durch die Wurzel (!) dieses Faktors (10 oder 100 usw.).

Heron-Verfahren

Das zweite Verfahren zum Wurzelziehen, das ich hier vorstellen möchte, hat der alte Grieche Heron erfunden - und nicht nur das; Heron war auch sonst ein ganz pfiffiges Kerlchen.

Die Idee hinter Herons Verfahren ist eigentlich ganz einfach und wird ähnlich auch in anderen Fällen angewandt: Man nähert sich dem Ergebnis in mehreren Schritten, indem man es durch eine untere und eine obere Schranke eingrenzt und diese Schranken nach und nach enger zusammen führt. Dieses Verfahren heißt allgemein Intervallschachtelung, weil man den Zahlenbereich zwischen zwei Grenzen Intervall nennt und weil hier die immer kleiner werdenden Intervalle wie Schachteln ineinander gesteckt sind.
Die Schwierigkeit bei der Intervallschachtelung ist oft, dass man ein erstes Intervall finden muss, von dem man sicher ist, dass der gesuchte Wert sich darin befindet. In unserem Fall brauchen wir also einen Wert, der sicher größer ist als die gesuchte Wurzel und einen, der sicher kleiner ist. Welche Schranken können wir uns für die Wurzel einer Zahl überlegen?
Dazu vergegenwärtigen wir uns noch einmal kurz, was die Quadratwurzel ist: Es ist die Zahl, die mit sich selbst malgenommen den Radikanden ergibt.
Wir können aber auch jede andere Zahl mit einer geschickt gewählten zweiten Zahl so multiplizieren, dass der Radikand herauskommt. Dazu ein Beispiel mit dem Radikanden 36:

Faktor 1Faktor 2Produkt
13636
21836
31236
4936
57,236
6636
75,142936
84,536

Die rot hinterlegte Zeile enthält die Quadratwurzel von 36. Bei den anderen Zeilen fällt auf, dass immer ein Wert größer und der andere kleiner als die Quadratwurzel ist. Das muss auch so sein: Wenn wir uns ein Quadrat der Fläche 36 und folglich der Kantenlänge 6 vorstellen und bei diesem Quadrat eine Seite verkürzen, muss die andere zwangsläufig größer werden, wenn die Fläche gleich bleiben soll.
Mit diesen Wertepaaren haben wir folglich genau das, was wir gesucht haben: Es sind Intervalle, von denen wir sicher sind, dass die Quadratwurzel darin liegt; der eine Wert ist eine obere und der andere eine untere Schranke für den Wurzelwert.

Wie finden wir nun ein solches Wertpaar?
Das ist ganz einfach: Wir nehmen irgendeine positive Zahl! Diese ist entweder kleiner als die Quadratwurzel des Radikanden (dann haben wir eine untere Schranke) oder sie ist größer (dann haben wir eine obere Schranke) oder sie ist selbst die Quadratwurzel (dann brauchen wir nicht mehr weiterrechnen).
Das Gegenstück finden wir genauso einfach: Wir müssen nur den Radikanden durch diese Zahl dividieren, denn das Produkt der beiden soll ja wieder den Radikanden ergeben. Ein Beispiel:

4 ⋅ 9 = 36  ⇔  9 = 36 / 4

Nun haben wir das erste Intervall, von dem wir wissen, dass es die Quadratwurzel des Radikanden enthält.
Wir können dieses Intervall verkleinern, uns also der Quadratwurzel weiter annähern, indem wir als neue Schranke einen Wert aus dem Intervall nehmen und das Gegenstück dazu auf die gleiche Weise berechnen wie zuvor beschrieben. Beide Intervallgrenzen werden näher am Wurzelwert liegen!
Sinnvollerweise nehmen wir die Mitte des Intervalls als neue Schranke.
Mit dem neuen Intervall verfahren wir wieder genauso und tasten uns auf diese Weise immer näher an den Wurzelwert heran.

Nachstehendes Geogebra-Applet zeigt wie das abläuft:
Mit den Schiebereglern kannst du den Radikanden wählen und eine beliebige erste Schranke (Startwert).
Die horizontale Linie zeigt den Wurzelwert des eingestellten Radikanden an.
Die senkrechten, getsrichelten blauen Linien symbolisieren die Versuche zur Annäherung daran. Bei x=1 der erste Versuch mit dem Startwert, bei x=2 der zweite usw.
Auf jeder blauen Senkrechten befinden sich je ein roter und ein grüner Punkt, die die Intervallschranken in diesem Durchlauf symbolisieren.

Man sieht sehr schön, dass und vor allem wie schnell sich die Intervallgrenzen dem Wurzelwert annähern: Man muss das oben beschriebene Verfahren selten öfter als zehn Mal durchlaufen, um die Quadratwurzel hinreichend genau zu berechnen. Selbst wenn Startwert und Radikand vier Zehnerpotenzen auseinanderliegen, braucht das Verfahren nur 13 Iterationen, um den Wurzelwert zu finden.
Wenn man etwas mit den Schiebereglern spielt, erkennt man, dass man die Zahl der notwendigen Iterationen reduzieren kann, wenn der Startwert wenigstens von der Größenordnung her passt. Andererseits ist es angesichts der schnellen Konvergenz des Verfahrens kaum der Mühe wert, lange über einen guten Startwert nachzudenken.

Bei Arndt Brünner wird auch erklärt, wie man das Verfahren auf größere Wurzelexponenten verallgemeinern kann. Noch weiter verallgemeinert auf beliebige Funktionen landet man beim Newton-Verfahren zur Bestimmung der Nullstellen einer Funktion.

Obwohl mit diesem Heron-Verfahren ein guter Algorithmus gefunden scheint, mit dessen Hilfe auch Computer Wurzelwerte berechnen können, verwendet man bei Mikroprozessoren noch andere. Der Grund liegt z.B. darin, dass binäre Rechner die Division, die man beim Heron-Verfahren ja bei jeder Iteration braucht, um den Mittelwert der Schranken und um die zweite Schranke zu berechnen, nicht besonders gut können; Multiplikation und Addition funktionieren schneller und genauer.
Heute wendet man zur Berechnung der Quadratwurzel- und anderer Funktionen in Mikroprozessoren meist den CORDIC-Algorithmus an.
Nichtsdestrotz hat dieses Beispiel vielleicht dazu beigetragen, zu verdeutlichen, dass man für etwas kompliziertere Operationen als Plus und Minus immer eine Vorgehensweise braucht, wie man das Ergebnis ermittelt. Auch Computer brauchen die.

Peripheriewinkelsatz Parabelparameter