GeoGebra im Regenbogen
 

 Fensterfeststeller

Ein reales Alltagsproblem hat zu der unten stehenden interessanten geometrischen Aufgabe geführt. Die (fast) analytische Lösung wird im Anschluss an die spielerisch-grafische dargestellt.
Ich muss gestehen, dass das Problem zumindest bei mir nicht mehr existiert, weil ich es pragmatisch durch Ausprobieren gelöst habe, nachdem mir der theoretische Ansatz nicht schnell genug ging. Wie nah ich mit dieser Probierlösung am gewünschten Optimum lag, lesen Sie ganz am Ende dieser Seite.
Immerhin fand ich die Fragestellung trotzdem interessant genug, um sie nachträglich noch einmal genauer zu untersuchen, und wer weiß: Vielleicht hilft meine Lösung ja doch noch irgend jemandem im wirklichen Leben!? (Falls ja, wäre ich sehr daran interessiert, davon zu erfahren!!)

Zur Sache:

Die Fenster unseres in Schleswig-Holstein gelegenen Holzhauses öffnen nach außen. Da es bei uns immer windig ist, muss man sie auch im geöffneten Zustand immer arretieren. Dazu hatten wir bisher nur Haken, d.h. man konnte die Fenster entweder ganz öffnen oder gar nicht.
Während einer Reise nach Südafrika, wo nach außen öffnende Fenster viel weiter verbreitet sind als bei uns, habe ich in einem Baumarkt (Jawohl meine Damen: Wie Sie sehen, lohnt es sich selbst im Urlaub, in den Baumarkt zu gehen!) eine genial einfache Erfindung gesehen, mit deren Hilfe man die Fenster in einem fast beliebigen Winkel arretieren kann. Es handelt sich quasi um eine Teleskopstange, die mit einer Klemmschraube bei jeder beliebigen Länge zwischen "voll eingefahren" und "voll ausgefahren" festgesetzt werden kann.
Die Frage ist nun: Wo muss man die beiden Enden der Teleskopstange befestigen, damit sich das Fenster entsprechend der Teleskopstange voll öffnen und schließen lässt?

Hier erst mal ein Foto der Vorrichtung, um die es geht:

Fensterfeststeller aus Südafrika

Zuerst die geometrische Lösung:

Wir schauen quasi im Grundriss auf das sich öffnende Fenster: Das braune Rechteck ist der horizontale Querschnitt durch das Fenster.
Im Ursprung (Punkt A) befindet sich das Scharnier. Die rote Linie zwischen den Punkten X und Y stellt die Teleskopstange, den Feststeller dar.
Oben sehen Sie einige Schieberegler, mit deren Hilfe sich der Einfluss einzelner Größen auf das Geschehen untersuchen lässt und die benutzt werden können, die Anwendung für andere Fenster und Teleskopstangen anzupassen:

Der Winkel α bezeichnet den Öffnungswinkel des Fensters. Er kann von 0° bis 120° entweder manuell am Schieberegler eingestellt werden oder läuft durch Klick auf die Schaltfläche unten links im Bild automatisch zwischen diesen Werten hin und her.

Die Größen l1 und l2 bezeichnen die kleinste und größte Länge der Teleskopstange. Es muss immer l1 < l2 sein, andernfalls verschwindet der Schieberegler für l2.
Im wirklichen Leben gibt es noch eine Restriktion, die hier aber nicht modelliert ist: Eine Teleskopstange der oben beschriebenen Bauart kann maximal auf das Doppelte ihrer Minimallänge ausgefahren werden, weil sie nur aus zwei Elementen besteht.

Die Fensterdicke d wird mit dem oberen Schieberegler in der zweiten Spalte eingestellt. Die Darstellung ist etwas vereinfacht: Zu der reinen Fensterdicke gehört hier auch noch der senkrechte Abstand der Scharnierachse A und des Drehpunktes Y vom Fenster dazu. Beide sind in d bereits eingerechnet, weswegen die Punkte A und Y auf den Rechteckkanten des Modellfensters liegen. Relevant wird diese Vereinfachung nur, wenn die Teleskopstange bei großen Öffnungswinkeln mit dem Fenster in Berührung kommt. In diesem Fall erscheint hier eine Warnmeldung.
Die Einstellung der Fensterdicke bewirkt gleichzeitig die Verschiebung des Befestigungspunktes X nach unten oder oben, so dass der Koordinatenursprung immer in der Drehachse bleibt.

Die Fensterbreite b, die mit dem unteren Schieberegler eingestellt werden kann, hat keinen besonderen Einfluss auf das Problem, außer dass sie die obere Grenze für die Befestigungspunkte bildet.

Unten werden die Montagepunkte für X und Y als Zahlenwerte ausgegeben: Einmal ist es die x-Koordinate des Punktes X, das andere Mal der Abstand des Punktes Y von der linken unteren Ecke des Fensterrechtecks. Einstellen lassen sich diese Werte, indem man die Punkte entlang der "Fensterbanklinie" (X) bzw. entlang der Fensterkante (Y) mit der Maus verschiebt oder einen der Punkte markiert und mit den Pfeiltasten bewegt.

Oben rechts in der Ecke befindet sich noch ein Symbol, mit dem Sie den Anfangszustand der Grafik wieder herstellen können.

Stellen Sie Ihre Fenstermaße sowie die minimale und maximale Länge Ihrer Teleskopstange ein und variieren Sie die Befestigungspunkte X und Y!
Öffnen Sie das Fenster durch manuelle oder automatische (s.o.) Veränderung des Winkels α und beobachten Sie, zwischen welchen Werten sich die Länge des Feststellers bewegt! Sollte die Länge irgendwann außerhalb des Einstellbereichs der Teleskopstange [l1; l2] liegen, erscheint eine Warnmeldung.

Weitere Anmerkungen unter der Grafik.

Michael Janßen, 23. November 2009, Erstellt mit GeoGebra

Mit obigem Applet lässt sich recht komfortabel ausprobieren, wo man die Befestigungspunkte anbringen muss. Trotzdem erscheint diese Probiermethode etwas unprofessionell und so stellt sich die Frage, wie man eine analytische Lösung für dieses Problem finden kann.

Durch das Probieren haben wir schon gemerkt, dass es mehr als ein Wertepaar (X|Y) gibt, das den Betrieb des Feststellers unter gegebenen Randbedingungen kleinster und größter Öffnungswinkel, kleinste und größte Feststellerlänge sowie Fensterdicke und -breite erlaubt. Und nicht nur das: Es gibt zu einem X auch einen ganzes Intervall Y-Werte und umgekehrt. Die Menge der Wertepaare (X|Y) bildet in der x-y-Ebene also eine Fläche, keine Linie. Aber welche?!
Dieser Frage will ich im Folgenden nachgehen:

Analytische Lösung:

Der Befestigungspunkt Y bewegt sich auf einem Kreis, dessen Radius r von der Fensterdicke d und der Lage von Y abhängt. Dieser Kreis und sein Radius r sind blau gestrichelt eingezeichnet.

Die kürzeste Länge des Feststellers ist dann erreicht, wenn der Feststeller senkrecht auf der Kreislinie bzw. der Tangente an den Kreis im Punkt Y steht, wenn also β=90° ist. (Auch die Tangente ist blau gestrichelt dargestellt.) Der Öffnungswinkel ist in dieser Stellung immer größer Null, wenn d > 0 ist.
Probieren Sie es aus!
Man kann die Teleskopstange also NICHT einfach bei geschlossenem Fenster in eingefahrenem Zustand montieren, wie man zunächst vielleicht glaubt. Beim Öffnen des Fensters wird das Teleskop immer zuerst zusammengeschoben - jedenfalls dann, wenn X (wie im Applet voreingestellt) rechts von Y liegt. Andernfalls wird die Konstellation bei der β=90° ist, nicht erreicht.
Weiter unten gehe ich darauf ein, warum nur der Ansatz in Frage kommt, dass X rechts von Y liegt. Jetzt mag zunächst genügen, dass diese Bedingung uns eine Formel für X2 liefert, weil sich der Satz des Pythagoras anwenden lässt:

Formel für X

Diese hängt aber wie man sieht über den Radius r von Y ab.

Den längsten Auszug benötigt die Teleskopstange bei voll geöffnetem Fenster.
Eine Stellung, die einen mathematischen Ansatz für eine zweite Bestimmungsgleichung liefert, ist α=90°. Auch bei der realen Montage habe ich diesen maximalen Öffnungswinkel gewählt, in diesem Applet sind jedoch Öffnungswinkel bis α=120° zugelassen.
Bei Winkeln größer 90° kann es irgendwann zu Problemen kommen, wenn Y > 0 ist, weil die Teleskopstange dann u.U. das Fenster berührt. Probieren Sie es aus!
Die Konstellation des auf α=90° geöffneten Fensters liefert uns folgende Gleichung für Y, die allerdings von X abhängig ist:

Formel für Y

Beide Gleichungen stellen jeweils den Grenzfall der komplett ein- bzw. ausgefahrenen Teleskopstange dar, aber wie wir uns oben schon überlegt haben, sind weitere Werte für X und Y möglich und zwar für X größere als es die angegebene Formel berechnet und für Y kleinere. Man kann sich das ggf. mit Hilfe des Applets veranschaulichen.
Wir machen also aus den Gleichungen zwei Ungleichungen für X und Y; diese definieren eine Punktemenge, die als Montagemöglickeit in Frage kommt.

Folgende Randbemerkung leitet sich aus dem Spiel mit Öffnungswinkeln um β=90° ab:
Im Bereich um die kürzeste Ausdehnung der Teleskopstange (β=90°) ist die Feststellwirkung der Teleskopstange am schlechtesten, weil relativ große Winkeländerungen nur relativ kleine Längenänderungen der Teleskopstange zur Folge haben. Aus der Praxis der real montierten Feststeller kann ich das bestätigen. Probieren Sie es hier aus!
Unter den möglichen Befestigungspunkten sollte man also ein solches Paar (X|Y) wählen, bei dem der Zustand des kürzesten Feststellers zu einem Öffnungswinkel gehört, der möglichst selten gebraucht wird.
Die oben beschriebene Variante, den Befestigungspunkt X links von Y anzubringen, wird in aller Regel deshalb nicht funktionieren, weil dann das Verhältnis von größter zu kleinster Länge des Teleskops sehr groß sein muss. Auch das können Sie in oben stehendem Geogebra-Applet nachvollziehen!

Die gegenseitige Abhängigkeit der beiden oben stehenden Formeln voneinander analytisch aufzulösen, ist mir bisher nicht gelungen. Natürlich könnte man den Ausdruck, den man durch Radizieren der oberen Formel für X gewinnt, in die untere Formel einsetzen und das Ganze dann nach Y auflösen, aber erstens werden die Ausdrücke recht unhandlich (drei geschachtelte Wurzeln über Summen) und zweitens wäre das ja nur die halbe Wahrheit, weil es sich ja eigentlich um Ungleichungen handelt, d.h. wir hätten damit nur den Verlauf des Y-Wertes, wenn X immer minimal wäre.

Statt dessen habe ich mir zunächst pragmatisch geholfen und habe eine Excel-Tabelle angefertigt: Im Prinzip enthält die erste Zeile die X-Werte und die erste Spalte die Y-Werte. In den Zellen habe ich beide Formeln in einer UND-Funktion verknüpft, d.h. in der Zelle steht genau dann "WAHR", wenn die zu dieser Zelle gehörenden X- und Y-Werte beide Formeln erfüllen.
Das Ganze wird dann nur noch dadurch verfeinert, dass man in ein paar Zellen die konstanten Werte für l1, l2 und d angeben und außerdem Startwert und Schrittweite für die X- und Y-Werte festlegen kann.
Durch eine bedingte Formatierung werden alle Zellen, die "WAHR" enthalten, farbig hinterlegt, so dass man den Verlauf der Lösungsfläche in der x-y-Ebene zumindest qualitativ erkennen kann.
Sie können diese Excel-Datei hier herunterladen.

Diese Methode liefert immerhin Zahlenwerte. Elegant fand ich sie aber deswegen noch lange nicht. Deswegen habe ich die beiden Gleichungen weiter verarbeitet und mit Hilfe von Geogebra eine bessere Veranschaulichung der Fläche zulässiger X-Y-Wertepaare gefunden.

Dazu stellen wir uns einfach vor, wir würden die Position des Punktes X - vergleichbar mit einer freien Variablen - variieren und dann beide oben formulierte Bedingungen dahingehend untersuchen, was mit Y passiert, welche Werte für Y bei einem vorgegenenen X also noch möglich sind.

Die erste Formel für die kürzeste Teleskopstange ist aber leider für eine unabhängige Variable Y formuliert. Wir müssen also zuerst die Umkehrfunktion bilden bzw. die Formel nach Y auflösen:

Formel für kürzeste Teleskopstange

Diese und die nach Y aufgelöste Formel für den längsten Teleskopauszug (s.o.) habe ich in Geogebra eingegben:

Blau dargestellt ist die Formel für den längsten und grün die für den kürzesten Teleskopauszug. Für letzteren in Schwarz auch noch die Umkehrfunktion.

Außerdem findet man natürlich auch hier die Schieberegler für Fensterdicke sowie kleinste (l1) und größste (l2) Feststellerlänge, denn von diesen drei Parametern hängen ja unsere gesuchten Positionen X und Y ab.

Erläuterungen zu den roten Punkten und der roten Fläche kommen nach der Grafik!

Bewegen wir uns mit unseren Installationspunkten X und Y auf der grünen Kurve bedeutet das, dass beim Durchlaufen des Öffnungswinkels α von null bis neunzig Grad die kürzeste Länge einmal erreicht wird. Analog wird bei Wertepaaren auf der blauen Kurve der längste Auszug erreicht. Beide Extrempositionen werden nur dann erreicht, wenn die Kombination aus X und Y auf beiden Kurven liegt, also im Schnittpunkt, der hier als Opt mit Werteangaben für X und Y rot gekennzeichnet ist.
Diese Kombination wird deswegen als optimal angesehen, weil sie zum größten Verschiebebereich des Teleskops führt, weswegen die Längenänderung pro Winkeländerung und damit die Feststellwirkung am größten ist. Die Ausnahme für β=90° wurde in der Randbemerkung oben bereits angesprochen.

Jede Kombination von X- und Y-Werten aus dem rot hinterlegten Bereich zwischen der grünen und der blauen Kurve erlaubt das Öffnen des Fensters im Bereich von null bis neunzig Grad, jedoch ohne dass die Extrempositionen der Teleskopstange erreicht werden.

Die rot eingezeichneten Punkte Xmin und Xmax begrenzen den Bereich, innerhalb dem der Montagepunkt X liegen muss, um überhaupt einen möglichen Punkt Y zu finden. Diese Punkte berechnen sich als Nullstellen der beiden Gleichungen wie folgt:

Formel für Xmin

Und für Xmax:

Formel für Xmax

Xmin ist zugleich der Punkt, der die optimale Montage repräsentiert, wenn man das Optimierungskriterium maximaler Öffnungswinkel zu Grunde legt.
Nachteilig an dieser Konstellation ist wegen Y = 0 der kurze Hebelarm, mit dem der Feststeller das Fenster festhält. Man muss in allen Stellungen des Feststellers mit großen Fensterbewegungen rechnen.

Die grüne Kurve verhält sich merkwürdig, sobald l1 größer wird als das Doppelte der Fensterdicke: Dann erscheint im Bereich des Ursprungs ein weiterer Teil der Kurve. Ich vermute, dass dieser Teil denjenigen Fall repräsentiert, der eintreten würde, wenn der Feststeller vom Punkt X aus in die entgegengesetzte Richtung zeigen würde, denn auch dann existiert ja ein Dreieck wie dasjenige welches wir zur Bestimmung der grünen Kurve herangezogen haben. Wegen der mechanischen Vorgaben der Aufgabe ist dieser Fall für uns aber nicht relevant.
Ebensowenig die in den Quadranten II und III gelegenen Kurventeile: Sie interessieren uns schon deswegen nicht, weil wir unseren Feststeller dann irgendwo in der Wand montieren müssten. Solche negativen X-Werte wären auch immer solche, bei denen der Montagepunkt X links von Y läge (s.o.). Außerdem würde die Teleskopstange schon bei kleinen Y-Werten beim Öffnen mit dem Fenster in Konflikt geraten. (Probieren Sie es aus!) Wenn X links von Y liegen soll, so muss X mindestens die Größe der Fensterdicke d haben, damit der Feststeller bei voll geöffnetem Fenster nicht anstößt.

Hier nun die Ergebnisse meiner praktischen Montage:

X = 28 cm
Y = 8,5 cm

Im Diagramm handelt es sich um den orangefarbenen Punkt.

Schon erstaunlich, was für ein komplexes mathematisches Problem sich hinter einem solch banalen Gegenstand des täglichen Gebrauchs verbergen kann, oder? Und wie relativ gut (vgl. orangefarbenen Punkt!) man es durch Versuch und Irrtum lösen kann.
Trotzdem hat mir selbst die vorstehende Analyse des Problems großen Spaß bereitet. Vielleicht hat es Ihnen ja genausoviel Spaß gemacht wie mir, sich damit zu beschäftigen!?

Falls ja, habe ich eine kleine Überraschung: Von den ersten vier Feststellern der oben gezeigten Art war ich so begeistert, dass ich mir vier weitere habe schicken lassen. Diese waren aber von anderer Bauart:

Fensterfeststeller aus Südafrika

Bei diesem System wird kein Teleskop ein- und ausgefahren sondern der Punkt Y lässt sich auf einer Schiene hin- und her bewegen. Na, wie müssen die Montagepunkte Ymin und Ymax gewählt werden???

Viel Spaß!

Lösung auf der nächsten Seite!

Dritte Binomische Formel Fensterfeststeller Nr. 2

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