Meine Meinung!
 

 Gerechtigkeit

29. September 2009

Meine These: Gerechtigkeit ist eine Frage des Maßstabs − und Maßstäbe sind eine höchst individuelle Sache. Ergo gibt es keine absolute Gerechtigkeit, allenfalls ein Maß an empfundener Ungerechtigkeit, mit dem eine hinreichende Mehrheit bereit ist, zu leben.

Haben Sie Kinder? Mehr als eins? Dann haben Sie mit Sicherheit schon des öfteren vor dem Problem gestanden, diese Kinder − nehmen wir der Einfachheit halber mal an, es seien zwei, ein Junge und ein Mädchen − gerecht behandeln zu wollen und auch zu müssen, weil die selben das mit großer Heftigkeit einfordern.

Der einfachste und auch oft propagierte Ansatz für Gerechtigkeit ist: "Alle müssen gleich behandelt werden!"

Probieren wir das an unseren beiden Modellkindern aus: Dem Lauf der Natur entsprechend ist es eher selten, dass beide Kinder gleichzeitig geboren wurden, also ist eines älter als das andere. Entsprechend des Dogmas "Alle gleich!" könnten Sie beiden Kindern jeden Sonntag die selbe Menge Taschengeld auszahlen. "Das ist ungerecht!" wird das Ältere − wie ich persönlich finde: zu Recht − behaupten, denn hochgerechnet bis zur Volljährigkeit wird das jüngere Kind in der Summe mehr erhalten haben. Also rechnet man das Alter in den Taschengeldsatz ein. Egal welche Formel sie finden, auch die wird in einem gewissen Maße ungerecht sein, weil es Inflation gibt, weil die Bedürfnisse der Kinder sich wandeln, weil es Schulkameraden gibt, die viel mehr bekommen, usw. (Übrigens: Wenn die Schulkameraden weniger bekommen, wird das selten als ungerecht empfunden.)

In aller Regel sind diese zuletzt genannten Argumente das oben erwähnte Maß an Ungerechtigkeit, das im Allgemeinen klaglos ertragen wird. − Und wenn nicht sind Sie in diesem Beispiel in einer Machtposition, die es Ihnen erlaubt, dem unzufriedenen Kind zu verdeutlichen, wie viel ungerechter die Welt noch sein könnte, indem Sie gar kein Taschengeld auszahlen.

Gewählte Regierungen haben es nicht so gut: Zwar ist die Tragweite ihrer Entscheidungen und damit ihre Macht erheblich größer als diejenige Taschengeld zahlender Eltern, aber weit mehr als Eltern sind Volksvertreter mittelfristig auf das Wohlwollen derjenigen angewiesen, gegen die sie "ungerecht" handeln.

Aber zurück zu unseren Modellkindern: Da es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelt, wird die Unsinnigkeit des Gleichheitsansatzes noch schneller deutlich, oder wollen Sie beiden eine Modelleisenbahn oder beiden eine Puppenstube zu Weihnachten schenken? Oder beiden beides? Dieser Ansatz würde Gerechtigkeit sehr teuer machen!

Wie verhält es sich mit unterschiedlich begabten Kindern? Nehmen wir an, das Ältere beginnt nach einem mittleren Schulabschluss eine Ausbildung und steht mit Anfang zwanzig relativ unabhängig auf eigenen Beinen. Dürfen oder müssen Eltern dann einem jüngeren, begabteren Kind die Unterstützung während eines Studiums verweigern, weil das eine Ungleichbehandlung und damit ungerecht wäre?

Es gibt sogar einen sehr empfindlichen Bereich unseres Lebens − Geld! − in dem wir alle eine Ungleichbehandlung akzeptieren: Zwar glaubt fast jeder, zu viel Steuern zu bezahlen, aber noch niemand hat ernsthaft die Steuerprogression in Frage gestellt. Dabei ist die gleich doppelt ungerecht − pardon, ungleich:

"Jeder bezahlt 20% seines Einkommens als Steuern" hört sich zwar nach Gleichbehandlung an, bedeutet aber in Wirklichkeit, dass Personen mit höherem Einkommen einen größeren Betrag bezahlen als solche mit niedrigerem. Das ist also eine Ungleichbehandlung. Damit nicht genug: In der Realität steigt sogar der Prozentsatz mit dem Einkommen, d.h. die Steuerlast selbst steigt exponentiell! Trotzdem finden das fast alle gerecht.

Ein im Gegensatz dazu vor allem unter dem Gerechtigkeitsaspekt sehr kontrovers diskutiertes Thema ist die "Allgemeine Wehrpflicht", die diesen Namen schon deshalb nicht verdient, weil sie nur Männer betrifft. Vom männlichen Standpunkt aus (→ individueller Maßstab!), ist das ungerecht und auch mit dem Argument, Frauen bekämen schließlich die Kinder, nicht zu widerlegen, weil es keine "Allgemeine Kinderpflicht" für Frauen gibt − was angesichts der Bevölkerungsentwicklung und der damit verbundenen Rentenproblematik gar keine so schlechte Idee wäre. Aber das ist in Anbetracht des Zündstoffs in dieser bewusst provozierenden Aussage ein Thema für einen eigenen Artikel.

Selbst wenn man die geschlechterspezifischen Ungerechtigkeiten einmal außer Acht lässt, ist es unter Gerechtigkeitsaspekten problematisch, dass Wehrpflichtige heute viel kürzer dienen müssen als noch vor einigen Jahren, ganz egal wie viele gute Gründe es dafür gibt. Ganz zu schweigen von den vielen jungen Männern, die mangels Bedarf entweder mit fadenscheinigen Argumenten ausgemustert oder einfach so nicht eingezogen werden.

In kinderreichen Familien müssen ohnehin nicht alle Söhne dienen. Aus Sicht der Eltern gerecht, aus Sicht der eingezogenen Brüder ungerecht.

Es bleibt als einziges konsensfähiges Fazit: Wehrpflicht ist weder gerecht noch für alle gleich. Nicht mehr ganz so konsensfähig meine persönliche Anmerkung dazu: Trotzdem gibt es gute Gründe, die für eine Wehrpflichtarmee sprechen.

Ein letztes Beispiel, wie wenig praktikabel und wie wenig gerecht es ist, alle gleich zu behandeln: Betrachten Sie die unterschiedlichen Lebenssituationen der Menschen in den Regionen der Welt. Dort gibt es teils naturbedingte teils von Menschen verursachte Unterschiede, die nicht einmal die gerechteste Weltregierung kompensieren könnte. Komischerweise wird, wenn das Gerechtigkeits− und Gleichheitsargument angeführt wird, immer nur die eigene Benachteiligung herausgestellt. Wie privilegiert wir in den Industrieländern mit unserem Lebensstandard sind, macht sich selten jemand bewusst. Natürlich ist es nur der Blick nach vorn und nach oben, der Blick zum Besseren, der uns weiter bringt, aber manchmal kann der Blick nach hinten, nach unten, zum Schlechteren die richtigen Relationen wieder herstellen.



Ich denke, mit diesen Beispielen ist die These hinreichend belegt und insbesondere der Ansatz "gerecht = gleich" widerlegt.

Aber warum schreibe ich hier darüber?

Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland viel zu viel gejammert wird, unter anderem darüber, wie ungerecht "unser System" doch sei. Anders kann ich mir die Wahlerfolge einer sozialistischen Partei nicht erklären.
Ich möchte mit diesem Artikel all denjenigen widersprechen, die sich in ihrem Leben ungerecht behandelt fühlen, die nur auf andere schauen und "das System", "die Gesellschaft" oder ein anderes, nicht genau greifbares Etwas für Ihre Lage verantwortlich machen. Ich möchte in diesen Köpfen "die richtigen Relationen wieder herstellen" (s.o.).
Jeder muss sich darauf konzentrieren, unter der gegebenen Randbedingung "die Welt ist ungerecht" sein Bestes zu geben. Selbstverständlich kann das auch bedeuten, durch politische Arbeit die insgesamt von allen Individuen empfundene Summe empfundener Ungerechtigkeit zu minimieren, aber das Augenmaß, die richtigen Relationen, sollen doch dabei bitteschön nicht verloren gehen.


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