Meine Meinung!
 

 Naturgesetze

... und wie man sie findet

26. März 2009

Hier möchte ich nicht über die vielen Erkenntnisse der Naturwissenschaften schreiben, sondern etwas genauer beleuchten, wie Naturwissenschaftler vorgehen (müssen), um diese Erkenntnisse zu gewinnen.

Früher bin ich immer dem Irrglauben erlegen, die Naturwissenschaft könnte erklären, warum etwas passiert. In der Tat wird man von einem Physiklehrer auf die Frage, warum ein Apfel vom Baum fällt, die Antwort erhalten: "Weil Massen sich gegenseitig anziehen!"

Diese Kausalbeziehung täuscht aber über den eigentlichen Ansatz der Naturwissenschaften hinweg. Man kann ein solches Frage- und Antwortspiel nämlich immer so lange weiter treiben, bis der Wissenschaftler an einen Punkt kommt, an dem er sagen muss: "Das ist ein Naturgesetz!" In obigem Beispiel wäre dies schon nach der nächstfolgenden Frage der Fall: "Warum ziehen Massen sich an?"

Also kommt es gar nicht darauf an, Kausalzusammenhänge zu erklären, sondern viel mehr darauf, Naturgesetze zu finden. Was ist ein Naturgesetz? Ein Naturgesetz beschreibt, welche Größen auf welche Weise von welchen anderen Größen abhängen, mit anderen Worten es beschreibt das Verhalten der Natur.

Meines Erachtens das wichtigste und größte Naturgesetz, ohne das kein anderes überhaupt möglich wäre, ist, dass die Natur sich unter gleichen Bedingungen immer gleich verhält. Das ist sozusagen das Naturgesetz, dass es Naturgesetze gibt; ohne dieses wäre jede Wissenschaft zwecklos, weil Erkenntnisse nicht allgemeingültig formuliert werden könnten.

Naturgesetze beschreiben die Natur; sie erklären sie nicht.

Und wie findet man ein Naturgesetz? Nun, dazu muss man sich nur fragen, was man in anderen Fällen macht, in denen man etwas beschreiben möchte. Bevor man etwas beschreiben kann, muss man es betrachtet und möglichst sogar über einen längeren Zeitraum unter verschiedenen Umständen beobachtet haben. Beobachtung ist also der Schlüssel zur Natur.

Diese Erkenntnis ist noch gar nicht so lange anerkannt! Erst Galileo Galilei (1564 - 1642) hat dieses Prinzip konsequent angewandt und für seine Anerkennung gekämpft. Beispielsweise glaubte man zu seiner Zeit immer noch die Behauptung des Aristoteles (384 - 322 v.Chr.), dass schwere Gegenstände schneller fallen als leichte und zwar im Verhältnis ihrer Massen. Diese Aussage einer anerkannten Autorität war unanfechtbar. Galileo hat sie widerlegt, indem er zwei verschieden schwere Kanonenkugeln vom schiefen Turm von Pisa fallen ließ. (Der war damals schon schief!) Obwohl das Ergebnis dieses Versuchs sehr viel näher an dem von ihm vorhergesagten - dass nämlich alle Körper gleich schnell fallen - lag, wurde die kleine, durch den unterschiedlichen Luftwiderstand verursachte Zeitdifferenz, mit der die Kanonenkugeln aufschlugen, von seinen Gegnern zum Anlass genommen, Galileos Theorie zu verwerfen. (Vgl. Dava Sobel: "Galileos Tochter")

Ich werde auf diese Geschichte noch zurückkommen.

Wenn man nun etwas beobachtet hat und es beschreiben möchte, braucht man auch noch eine Sprache, in der man die Beschreibung für jedermann verständlich verfassen kann. In der Physik bedient man sich der Sprache der Mathematik, aber andere Naturwissenschaften formulieren ihre Gesetzmäßigkeiten durchaus auch in Prosa. Man könnte sich auch vorstellen, dass man etwas, um es zu beschreiben, verkleinert nachbaut. Das kann z.B. deshalb nötig sein, weil man es jemandem beschreiben möchte, dessen Sprache man nicht spricht. Ich nenne diese Möglichkeit hier deswegen, damit die folgende Einführung des Begriffs "Modell" nicht so überraschend ist:

Man kann sich unendlich viel Mühe geben bei der Beschreibung und sie wird doch immer in dem einen oder anderen Punkt unzulänglich sein. Das kann zum einen daran liegen, dass die Beobachtung nicht in allen möglichen Situationen geschehen konnte, denn das würde ja buchstäblich ewig dauern. Zum andern reichen vielleicht einfach die Möglichkeiten der Sprache nicht aus, alle Aspekte des Gegenstands - in unserem Fall des Naturgesetzes - zu beschreiben. Das macht aber nichts, denn eine ungenaue Beschreibung ist allemal besser als gar keine. Entscheidend ist, dass die Beschreibung für den Zweck, den wir damit verfolgen, genau genug ist.

Eine solche Beschreibung oder ein Bild der Realität nennt man ein Modell. Zu jedem Modell gehört eine Aussage, unter welchen Bedingungen es richtig ist bzw. welche Genauigkeit die Aussagen haben, die aus ihm abgeleitet werden können.

Zur Veranschaulichung noch einmal zurück zum Kanonenkugelexperiment in Pisa: Galileo hat in einer Reihe von Experimenten beobachtet, dass die von einem fallenden Körper zurückgelegten Strecken proportional sind zu den Quadraten ihrer Fallzeiten, während die Masse darauf keinen Einfluss hat. In der Sprache der Mathematik konnte er diese Hypothese so formulieren:

s = k · t²

Dabei ist s der zurückgelekte Weg, k ist eine konstante Zahl und t die Zeit, die der Körper gefallen ist. Das war sein Modell zur Beschreibung des Fallexperiments.

Wenn ein Wissenschaftler eine solche Hypothese aufgestellt hat, bedeutet das so viel wie: "Ich vermute, dass dieser Zusammenhang ein Naturgesetz ist."

Damit eine Aussage als unumstößlich gelten kann, denn diesen Charakter sollte ein Gesetz ja haben, sollte sie bewiesen werden. Damit kommen wir in ein Dilemma:

Betrachten wir die folgenden beiden Aussagen:

a) "Alle Schafe sind weiß."

b) "Es gibt schwarze Schafe."

Aussagen des Typs a) nennt man Allaussagen, die des Typs b) Existenzaussagen. Nun machen wir uns daran, diese Aussagen beweisen oder widerlegen zu wollen. Dazu gehen wir auf eine Weide und betrachten die dort grasende Herde Schafe. Je nach Zusammensetzung der Herde gibt es folgende vollständige Liste von Möglichkeiten:

 Allaussage a)  Existenzaussage b)
Nur weiße Schafe - -
Nur schwarze Schafe widerlegt bewiesen
Schwarze und weiße Schafe widerlegt bewiesen

Daran sehen wir:
Allaussagen lassen sich nicht beweisen, nur widerlegen!
Existenzaussagen lassen sich nicht widerlegen, nur beweisen!

An dieser Stelle zur Aufheiterung ein zu diesem Thema passender Berufewitz:

Ein Ingenieur, ein Physiker und ein Mathematiker fahren gemeinsam mit dem Zug zu einem Kongress in einem fremden Land. Sie kommen an einer Weide vorbei, auf der ein einzelnes schwarzes Schaf steht.

Der Ingenieur: "Aha! In diesem Land sind die Schafe schwarz!"
Der Physiker: "Falsch! In diesem Land gibt es schwarze Schafe!"
Der Mathematiker: "Falsch! In diesem Land gibt es mindestens ein Schaf, das auf mindestens einer Seite schwarz ist!"

Obwohl dieser Witz wohl eher dazu gedacht ist, der Mathematikerzunft fehlendes Augenmaß im Alltag und Pedanterie nachzusagen, führt er uns für obige Diskussion doch auf einen wichtigen Punkt: Als ich bei dem Gedankenexperiment schrieb, dass wir die Schafherde betrachten, bin ich stillschweigend davon ausgegangen, dass wir dieses Experiment mit hinreichender Genauigkeit durchführen, d.h. wir haben die Schafe natürlich von allen Seiten betrachtet und ausgeschlossen, dass es schwarz-weiße oder gar weiß-rote Schafe gibt.

Zurück zu unseren Allaussagen und Existenzaussagen: Wenn wir Naturgesetze suchen, wollen wir in aller Regel natürlich Allaussagen formulieren, weil diese universell einsetzbar sind. Auch Galileos Gesetz vom Zusammenhang zwischen Weg und Zeit ist eine Allaussage, denn es formuliert keinerlei z.B. räumliche oder zeitliche Einschränkung.

Nun haben wir aber doch gerade gesagt, dass sich eine solche Allaussage nicht beweisen lässt. Wie können wir ihr trotzdem zum Status eines Naturgesetzes verhelfen? Die Antwort, mit der sich die Naturwissenschaft behilft ist: "Indem wir möglichst häufig auf möglichst viele verschiedene Weisen versuchen, die Aussage zu widerlegen und sie jedes Mal bestätigt finden!"

Galileo konnt seine Hypothese nicht zum Naturgesetz erheben, weil es zur genauen Messung von Sekundenzeiträumen keine Uhren gab. Aber immerhin konnte er überprüfen, ob der Zusammenhang zwischen Weg und Zeit wirklich von der Masse des fallenden Körpers unabhängig ist. Er hat im Gegensatz zu seinen Kritikern sogar erkannt, welcher Effekt für die Abweichung des Experimentergebnisses von seiner Vorhersage verantwortlich war. Konsequenterweise hätte er nun die Gesetze des Luftwiderstandes untersuchen müssen, um sein Modell verfeinern und den realen Gegebenheiten weiter anpassen zu können. Er befand es aber offensichtlich für genau genug. Wer will es ihm verdenken angesichts der Verbesserung, die es gegenüber der alten noch unzulänglicheren Vorstellung bedeutete?!

Es ist gar nicht so einfach, seine eigene Hypothese eines Naturgesetzes, die man womöglich erst nach langwierigen Versuchen endlich gefunden hat, durch Expiremente widerlegen zu wollen. Man ist viel eher geneigt, Bestätigungen für diese Hypothese zu finden. Warum das auf der Suche nach Naturgesetzen irreführend sein kann, soll nachfolgende kleine Anekdote verdeutlichen, die mir ein emeritierter Professor vom Universitätsklinikum Hamburg, den ich während einer Zugfahrt kennengelernt habe, erzält hat:

Dieser Professor war als junger Arzt zusammen mit seiner damaligen Verlobten in einem großen amerikanischen Krankenhaus angestellt. Er arbeitete im fünften Stockwerk, seine Verlobte im Erdgeschoss. Der Weg zum regulären Fahrstuhl war weit. Um seine Angebetete auch während kurzer Pausen besuchen zu können, kam er eines Tages auf die Idee, statt des Personen- den Lastenaufzug zu benutzen, der direkt neben seinem Labor lag. Das war natürlich verboten. Trotzdem wagte er es und bekam prompt einen Schreck eingejagt: Er saß im Lastenaufzug und hatte den Knopf für's Erdgeschoss gedrückt und - nichts rührte sich! Er aber behielt einen kühlen Kopf und dachte, es sei irgendetwas verklemmt. Um den Aufzug frei zu bekommen, bewegte er sich in eine Ecke, dann in die gegenüberliegende und siehe da: Der Aufzug fuhr los. Auf dem Rückweg das selbe Spiel: Der Aufzug fuhr erst los, nachdem sein Insasse sich in der erprobten Weise von einer Ecke in die andere bewegt hatte.

Dieser Weg zwischen den Liebenden hat sich etabliert und so begann der junge Mann, auch seinen Kollegen, die aus verschiedenen Gründen den selben Weg zurückzulegen hatten, davon zu erzählen, auf welche Weise man den Lastenaufzug missbrauchen konnte. Diese waren dankbar für den Hinweis und erprobten das Verfahren mit der Gewichtsverlagerung genauso erfolgreich wie unser junger Arzt.

Eines Tages sah unser Held einen Mechaniker am Aufzug stehen und rang mit sich, ob er ihm wohl beichten solle, den Aufzug missbraucht zu haben und welches komische Verhalten der Maschine er dabei festgestellt hatte. Er nahm sich ein Herz und sprach den Mechaniker an. Dieser brach in schallendes Gelächter aus! Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, erklärte der Mechaniker dem Arzt, dass der Fahrstuhl eine eingebaute Zeitverzögerung habe und erst zehn Sekunden nach Drücken des Knopfes losfahre.

Es war eben kein Naturgesetz, dass der Fahrstuhl nur bei der richtigen Abfolge von Gewichtsverlagerungen losfährt, obwohl alle das geglaubt und viele Bestätigungen dafür gesammelt hatten. Es hätte nur ein einziges Mal jemand versuchen müssen, die Hypothese zu widerlegen, z.B. indem er einfach abwartet, ob der Fahrstuhl auch ohne Herumhampeln losfährt.

Darum muss man danach streben, Hypothesen zu widerlegen statt sie zu bestätigen.

Im folgenden noch einmal eine kleine Zusammenfassung der Kernaussagen dieses Artikels, da ich zwischendurch doch manchmal abgeschweift bin:

Zusammenfassung:

Naturgesetze beschreiben die Natur, sie erklären sie nicht.

Man findet Naturgesetze durch Beobachtung/Experiment.

Naturgesetzte sind Allaussagen und können nicht bewiesen, nur widerlegt werden.

Naturgesetze erhalten ihren Gesetzesstatus durch viele erfolglose Widerlegungsversuche.

Naturgesetze sind Modelle der Wirklichkeit mit Gültigkeitsbereichen und Unzulänglichkeiten.


Schreiben Sie mir Ihre Meinung zu diesem Thema/Artikel!


Kommentare, die ich zu diesem Artikel erhalten habe:

Leider noch keine.


Demokratie - Über die Verantwortung des Einzelnen und die Bedeutung von Information Gerechtigkeit

Home
Falls diese Seite ohne Navigationsleiste angezeigt wird, aktivieren Sie Javascript oder klicken Sie hier!